Far Cry 4 – Test / Review

    Ein kurzer Blick in die Geschichte des Far Cry Franchise zeigt ein stetiges Auf und Ab. Nach einem klasse Start der Serie ging die Talfahrt los, die mit einem wenig ruhmreichen Ableger für Nintendo Wii startete und im Negativhöhepunkt Far Cry 2 gipfelte. Zuletzt aber gelang Ubisoft der Befreiungsschlag, denn Far Cry 3 konnte wieder viele Spieler überzeugen. Mit Far Cry 4 orientiert man sich ziemlich stark am direkten Vorgänger, von einem plumpen Aufguss zu sprechen, würde dem Spiel aber nicht gerecht werden.

    [box_info]Far Cry 4 wurde am 18. November für PC, Playstation 3, Playstation 4, Xbox 360 und Xbox One sowohl als Disc-Version, als auch digital veröffentlicht. Für Spieler am PC ist ein Uplay-Konto notwenig. Unser Test basiert auf der digitalen Downloadversion für Xbox One, die ca. 27GB groß ist.[/box_info]

     

    Mami’s letzter Wille

    Unser Held heißt kurz und knapp Ajay. Das klingt im ersten Moment nicht nur nach einem seichten Mädchentraum aus einer Boy Band, nein, tatsächlich wird unser heranwachsender Hauptakteur zunächst von seiner sanften Seite vorgestellt. Im Intro erfahren wir, welchen Beweggrund Ajay hat, um nach Kyrat zu reisen, einer fiktiven Stadt mitten im Himalaya. Nach dem Ableben seiner Mutter war es ihr sehnlichster Wunsch, dass ihre Asche dort verstreut wird, wo sie ihre Wurzeln hat. In Kyrat angekommen, lernt Ajay allerdings schnell, dass die augenscheinliche Idylle nur von kurzer Dauer ist. Nach der Landung macht er Bekanntschaft mit dem zweifelhaften Despoten Pagan Min, seines Zeichens selbstgekrönter Herrscher von Kyrat. Der hat es nämlich auf Ajay abgesehen, denn in Min’s Vergangenheit spielte seine Mutter eine nicht ganz unwichtige Rolle. Schlussendlich wird Ajay aber urplötzlich von einer Gruppe Widerstandskämpfer gerettet. Seinem Drang nach Gerechtigkeit folgend schließt er sich der Bewegung an und ab diesem Moment beginnt der waghalsige Kampf gegen das totalitäre Regime vom Herrn im pinken Anzug.

    Im weiteren Verlauf der Story lernen wir noch etliche Figuren kennen. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die Anführer Sabal und Amita. In ihrem Kern sind beide auf einer Linie, denn Pagan Min ist ihnen gleichsam ein Dorn im Auge. Im Ziel vereint, haben beide jedoch ganz unterschiedliche Auffassungen, wie es in Kyrat nach dem Sturz weitergehen soll. Amita ist westlichen Werten sehr angetan, Samal schweben eher ethische Ziele vor. Im Endeffekt erledigen wir aber für beide eine Reihe von Aufträgen und man kommt nicht an diesen einen Scheideweg, wo man sich final für eine der beiden Seiten entscheiden muss. Je nach Vorgang variiert der Missionsverlauf etwas, im großen und ganzen bleibt der rote Faden aber bestehen. Zu diesen beiden Hauptakteuren gesellen sich noch weitere, oft dünnhäutige oder zwiespältige Figuren hinzu. Aus all der Masse an Auftragsgebern sticht Pagan Min allerdings ganz klar hervor. Nicht nur wegen seiner betörenden Farbwahl, sondern auch von seinen Charakterzügen her. Die pure Präsenz, sein Auftreten, kombiniert mit Gestik und Mimik sind ein Gradwandeln zwischen Wahnsinn und Versessenheit. Leider ist sein Auftreten viel zu rar gesät, ein paar mehr Einsätze seinerseits wären schön gewesen. Was den Storyentwicklern allerdings viel besser als in Teil 3 gelungen ist, ist die Verknüpfung der Spielfigur mit dem Schicksal des Landes.

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    Bezieht man die Fauna mit ins Gefecht, ist Chaos vorprogrammiert

     

    Altbewährt & Gut

    Wenn man Far Cry 4 etwas in den Mund legen will, dann wäre das in etwa ein solcher Satz: „Kennst Du Far Cry 3, kennst Du auch Far Cry 4.“ An dieser Aussage ist etwas Wahres dran, denn im Gesamteindruck hat sich im Vergleich zu Teil 3 nicht all zu viel geändert. Muss es auch vielleicht gar nicht, denn Far Cry 3 funktionierte gut. In den ersten Stunden sind die Ähnlichkeiten wirklich frappierend, denn es wirkt mitunter wie eine Blaupause. Man nehme eine idyllisches Szenario, verpasse ihm einen irren Herrscher, hier ein Wachposten und da ein Paragleiter und fertig ist das Spiel. Das stimmt aber so nicht ganz, denn Far Cry 4 hat natürlich einige Erneuerungen im Gepäck und viele davon sind ziemlich sinnvoll.

    Hervorragend funktioniert die Integration von Flora und Fauna in Kombination mit dem Gameplay. Auf dem Weg zur nächsten Mission hat man vielleicht einen Plan auf dem Schirm, aber dessen Durchführung und Ausgang kann man fast nie planen. Dazu trägt maßgeblich bei, dass viele gescriptete Einlagen der KI eine Menge Freiraum geschenkt bekommen haben. Das führt mitunter zu halsbrecherischen und absolut chaotischen Situationen unterwegs. In jedem Falle sind sie oft überraschend und spielerisch top gelöst.

    Für jeden Einsatz gilt die alte Devise, dass der Spieler keine Vorgaben außer dem finalen Ziel bekommt. Was man unterwegs wie tut, ist eigene Entscheidung. Vielleicht werfe ich ein paar Granaten ins Camp und stürme dann mit dem MG. Oder ich verschanze mich auf einer Anhöhe in sicherer Distanz und schalte erst ein paar Wachen mittels Sniperriffle aus dem Hinterhalt aus. Oder Moment, aus dem Gebüsch dahinten schlurft ein Tiger hervor. Den könnte ich doch prima ins Camp lotsen und ihn die Drecksarbeit für mich verrichten lassen. Ach was, ein Tiger ist doch Kinderkram, ich schnappe mir direkt einen dickhäutigen Elefanten und stampfe alles kurz und klein.

    Je nach Spielstil bekommt der Fertigkeitsbaum seine ganz persönliche Note. Dieser ist in Far Cry 4 wieder deutlich übersichtlicher und aufgeräumter vorhanden und unterscheidet sich grob in aktive und passive Skills. Für den gepflegten Ritt unterwegs empfehlen wir ein frühes Erlernen der Fähigkeit, besagten Elefanten reiten zu können.

    Im späteren Spielverlauf gibt sich Ajay natürlich nicht mehr mit minderwertigen Ballermännern zufrieden. Quer über die Spielwelt sind Händler und Shops verteilt, an denen man sich nach Herzenslust bedienen kann – das nötige Kleingeld vorausgesetzt. Kyrat Dollar sammelt man in Far Cry 4 an so ziemlich jeder erdenklichen Stelle. Durch das Töten von Feinden, das Häuten von Tieren, das Einnehmen von Territorium oder natürlich das Abschließen von Missionen. Abgesehen vom Tausch gegen Bares eignen sich Tierhäute wieder hervorragend zum Herstellen von diversen Upgrades, etwa neue Waffenhalfter.

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    Gut geplant ist halb gewonnen

     

    Die Spielwelt Kyrat bietet einen offenen Stil, zeigt aber auch ziemlich deutlich die Grenzen auf. Man entdeckt zwar nirgends ein Stopschild oder dergleichen, aber das Layout der Randareale macht sehr schnell klar, dass hier bald Ende ist. Ziemlich cool ist das Design eingefangen, man möchte am liebsten eine Tiefe Brise Himalayaluft einatmen. Die Welt ist lebhaft und flächendeckend authentisch gezeichnet. Hier warten kluftige Felswände, dort kleinere Wäldchen, drüben weite Wiesen. Und überall flitzen kleine oder größere Tierchen durch das Bild, wobei man bei den größeren Vierbeinern einen gewissen Sicherheitsabstand einhalten sollte. Mitunter erschien uns während des Tests die Tierwelt einen Hauch zu aggressiv unserem Ajay gegenüber, was gelegentlich nervig sein kann, wenn man sich ständig gegen Pelzviecher wehren muss. Dennoch lohnt sich die große Entdeckertour durch Kyrat, es gibt viele Orte zu erkunden und noch mehr Geheimnisse zu lüften. Fast schon wie im Reflex möchte man einen entdeckten Höhleneingang auch gleich erkunden.

    In Sachen Missionsdesign schafft Far Cry 4 einen gelungenen Mix. Der Wechsel zwischen puristischer Ballermission, waghalsiger Verfolgungsjagd und Schleichpassagen passt sehr gut. Die Fahrzeuge sind in Kyrat standardmäßig mit einem Navi und auch einem kleinen Autopiloten ausgerüstet. Was nach James Bond klingt, hat den spielerischen Vorteil, dass man sich bei Verfolgungsjagden voll und ganz aufs Aiming konzentrieren kann, während unser Vehikel dem Straßenverlauf sehr zuverlässig folgt. Neben diversen Zwei-, Drei- und Vierrädern darf Ajay auch im Helikopter ran und – natürlich – mit dem Gleiter phantastisch aussehende Felsklippen hinuntersegeln.

    Bei der Eroberung von Terrain ist uns aufgefallen, dass die Festungen, verglichen mit den restlichen Einsätzen, einen extrem hohen Schweregrad besitzen. Die KI ist hier sehr koordiniert, die Gegnerdichte hoch und das Vorankommen schwer. Als Einzelperson hat man hier ganz schlechte Karten, siegreich aus der Affaire zu kommen. Unser Verdacht: Ubisoft hat die Festungen auf den Koop optimiert. Das war jetzt die Eselsbrücke zum …

     

    Koop für doppeltes Vergnügen

    … kooperativen Einsatz. Wie schön ist es doch, dass viele Spiele wieder auf den gut bewährten Zweier-Modus setzen. War dieser in Far Cry 3 noch ziemlich unausgereift, führt Far Cry 4 ihn zu neuer Pracht. Gerade die erwähnten Festungen machen unheimlich viel Spaß in trauter Zweisamkeit, abgesehen davon hat man auch nur mit Kumpel eine reelle Chance, die Festung zu erobern. Dagegen spricht, dass mit Freund im Gepäck alle übrigen Einsätze einen Ticken zu leicht ablaufen. In jedem Falle bekommt das Spiel durch das gemeinsame Vorgehen noch mehr taktische Tiefe und es macht Spaß, sich eine Strategie für den nächsten Stützpunkt auszutüfteln. Der restliche (kompetitive) Multiplayer bietet ziemliche Standardkost und sticht nicht sonderlich aus der Masse hervor. Jede Fraktion hat eigene Vorzüge, in der Summe aber gibt es für kurzweilige Multiplayerschlachten wesentlich bessere Titel.

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    Drogen spielen natürlich auch wieder eine bewußtseinserweiternde Rolle

     

    Fazit

    ChristophIch muss zugeben, dass ich im Vorfeld etwas Sorge um Far Cry 4 hatte. Es wirkte aus Trailern alles irgendwie vertraut und sah mir einen Hauch zu sehr nach Far Cry 3 aus: Augenscheinliche Idylle, knilchiger Spielcharakter der zum Ramboverschnitt mutiert, grausiger Despot mit Starallüren. Und doch hat Far Cry 4 bereits nach wenigen Spielstunden seinen ganz eigenen Charme versprüht und mich gefesselt. Dabei ist sich die Serie treu geblieben und bietet nur dezente, aber spielerisch sehr unterhaltsame, Neuerungen. Man hat noch immer einen großartigen Sandbox-Shooter vor sich, der dank weitläufiger Spielwelt zur gefahrvollen Erkundungstour einlädt. Kyrat mit all seinen dunklen Geheimnissen wirkt keineswegs aufgesetzt und die Welt scheint wirklich lebendig. Dank hervorragender Grafik und klasse Sound ein guter Titel, um in späten Abendstunden tief in die despotische Welt von Pagan Min zu tauchen.

     

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    Christoph
    Kind der 70er. Seit '84 Musiker, seit '85 Hobby-Jedi, seit '86 Zocker und seit 2011 hier Redakteur