Civilization VI: Gathering Storm – Test

    OK, zeigt mal auf: Wer von euch hat sich schon mal vorgestellt, ein verrückter Wissenschaftler zu sein? Ein kriminelles Genie? Ein skrupelloser Puppenspieler, der mit seiner Seidenzunge die Umgebung mit einem Lächeln zu seinem Vorteil manipuliert?
    Genau das sticht für mich aus Gathering Storm hervor. Natürlich lassen sich die ganzen neuen Systeme auch für das Gute benutzen, aber der Bösewicht macht so viel mehr Spass.

    Umwelteffekte

    In Gathering Storm tritt die Umwelt als zusätzlicher Akteur auf: Stürme, Vulkanausbrüche, Überflutungen und Dürreperioden stellen nun eine zusätzliche Bedrohung dar. Gleichzeitig können diese aber auch vorteilhaft sein – wie wir wissen, hinterlässt der Nil fruchtbares Land, wenn er über die Ufer tritt. Dadurch tritt eine neue Dimension der Entscheidungsfindung bei der Gründung neuer Siedlungen zum Vorschein: Es muss abgewogen werden, ob die Gefahren, neben einem aktiven Vulkan zu siedeln, durch die möglichen Vorteile aufgehoben werden. Zwar lassen sich gewisse Gefahren umgehen – etwa durch Dämme, die vor Überflutungen schützen – aber auf einen Tornado kann man sich auch nur bedingt vorbereiten.
    Superschurken-Tip: Spione mit Sprengsätzen machen sich besonders gut an gegnerischen Dämmen.

    Klimawandel

    Damit nicht genug: In Gathering Storm wird ebenfalls der CO2-Ausstoss gemessen. Das beeinflusst unter anderem die Häufigkeit der Katastrophen und den Meeresspiegel. Hier stellt sich die Frage, was uns lieber ist: Verzichten wir auf riesige Produktionsboni oder verzichten wir auf das Eis an den Polen? Angenehmerweise bieten sich auch Alternativen in Form von Windfarmen und Solarparks an, aber diese wollen auch erst mal erforscht und gebaut werden, und so effizient wie Öl sind sie immer noch nicht. Uran ist auch eine Möglichkeit, aber wehe dem, der den Reaktor nicht regelmäßig wartet…
    Superschurken-Tip: Es ist relativ simpel, das Land mit Kohlekraftwerken zu überziehen. Norwegen nervt bedeutend weniger, wenn es mit ehemaligem Packeis überflutet ist.

    Energie und strategische Rohstoffe

    In Gathering Storm benötigen viele Gebäude der Neuzeit Energie. Diese kann durch Kraftwerke erzeugt werden (welche aber wieder die Umwelt belasten – siehe oben). Zwar läuft fast alles auch ohne Strom, aber dann nur mit einem Bruchteil an Effektivität. Um diese Kraftwerke zu betreiben, werden strategische Rohstoffe benötigt, welche in Gathering Storm jetzt tatsächlich verbraucht und angesammelt werden können. Da sie nur in begrenzter Menge gelagert werden können, ermutigt das zu mehr Handel und Interaktion untereinander – es ist jetzt nicht mehr nötig, ganze Minen abzugeben oder zu kaufen. Des gleichen ist es überflüssig, auf Rohstoffen zu sitzen, wenn die Lager voll sind.
    Superschurken-Tip: Zivilisationen im Mittelalter werden durch eine gut gemeinte Lieferung Uran nicht gefährlicher. Alles, was ich dafür möchte, ist ihre Stimme bei der nächsten Wahl im Weltkongress…

    Weltkongress

    In regelmäßigen Abständen tritt der Weltkongress zusammen und es werden Wahlen zu verschiedenen Themen abgehalten. Diese reichen von Förderungen oder Embargos auf Rohstoffe über modifizierte Kosten für Militäreinheiten bis hin zur Verleihung von diplomatischen Siegpunkten. Als Währung wird hier diplomatischer Einfluss benutzt, welcher sich durch Hilfsleistungen und soziales Handeln aufbauen lässt. Hier muss ich leider auch eine Schwäche bemängeln: Es ist nicht möglich, selber Wahlanträge zu stellen, und manchmal ist es aufgrund einer fehlenden Übersicht schwierig, eine wohlüberlegte Entscheidung zu treffen. Wenn es beispielsweise um doppelte Wirkung für Luxusgüter geht, wähle ich im Regelfall komplett zufällig, da während der Wahl kein kurzer Blick auf die Luxusgüter der Nationen möglich ist. Ausserdem ist ein diplomatischer Sieg nahezu unmöglich – sobald ich einen einzigen der 10 benötigten Siegpunkte erreicht habe, hört die KI auf, mich in irgendeiner Form zu unterstützen. Mir bleiben nur noch die ebenfalls neu eingeführten Wettkämpfe. In denen treten die Weltmächte in friedlichem Wettstreit gegeneinander an – hier geht es zum Beispiel darum, die größte Menge Kultur zu generieren, oder besondere Hilfsprojekte abzuschliessen. Im Regelfall habe ich schon lange über Kultur oder Forschung gewonnen, bevor ich einen Diplomatiesieg erreiche.
    Generell mag ich die Idee des Weltkongress, aber mit der KI ist es mehr ein chaotischer Einfluss denn eine weitere Strategieschicht. Im Multiplayer hingegen stelle ich mir die Verhandlungen interessant vor.
    Superschurken-Tip: Lust auf ein Hilfeprojekt, aber niemand da, der Hilfe braucht? Ein paar Bomber auf zufällige Städte und schon freuen sich viele Distrikte über die Untersützung unserer Ingenieure!

    Viel Neues für Alles

    Alle schon vorhandenen Systeme haben in Gathering Storm etwas Neues bekommen. Zwei neue Szenarien, moderne Forschungsprojekte, neue Wunder, Gebäude, Einheiten, Spionagemöglichkeiten… die Liste umfasst so einiges. Rock Bands etwa, die mit Glauben gekauft werden und mit ihren Konzerten Tourismus erzeugen, oder meine neue absolute Lieblingseinheit…
    Superschurken-Tip: GIANT DEATH ROBOT

    Herrscher und Zivilisationen

    Gathering Storm bringt uns ausserdem 8 neue Zivilisationen und 9 neue Anführer. Diese spielen sich teilweise komplett ungewohnt, so dass sich wieder alles frisch und neu anfühlt. Matthias Corvinus, Anführer von Ungarn, erhält zum Beispiel Boni auf Einheiten der Stadtstaaten und kann sie kostenlos verbessern. Dadurch kann er früh mit einer mächtigen Armee in die Schlacht ziehen, die ihn kaum etwas gekostet hat und im Endeffekt noch nicht mal seine eigenen Einheiten in Gefahr bringt. Auch die anderen Zivilisationen bringen atmosphärisch passende Sonderfähigkeiten mit. So starten etwa die Maori auf dem Ozean, Mansa Musa der Mali löst alle Probleme mit seinem gigantischen Goldvorrat und Schweden lost Nobelpreise aus. Die Inka können Berge bearbeiten und sie durchqueren – da verliert so manche Verteidigungsposition ihre Vorteile. Die Phönizier können relativ frei ihre Hauptstadt verschieben. Eleonore von Aquitanien führt sowohl England als auch Frankreich. Suleiman führt die Ottomanen mit seinem treuen Vizier Ibrahim an der Seite und Kanada ist immun gegen gewisse Kriegserklärungen und arbeitet effizient auf Tundra. Alles in allem fühlen sich die Zivilisationen frisch an und verlangen neue Strategien, um ihr volles Potential auszuschöpfen.

    Fazit

    Es gibt wenig, was mir an Gathering Storm nicht gefallen hat. Der Weltkongress schien mir wenig interessant – klar, die Idee, diplomatisch zu taktieren und seine Ränke zu schmieden hat was, aber wir spielen immer noch gegen eine KI, die auch nach zweieinhalb Jahren noch drei Goldstücke und einen Sack voll Muscheln für die Originalmanuskripte Shakespeares anbietet. Gewisse strategische Entscheidungen fällen sich ausserdem im Grunde selbst. So kann ich zwar rein theoretisch entscheiden, ob ich den CO2-Ausstoß einer modernen Armee hinnehme oder nicht, aber praktisch kann ich nicht ohne Armee überleben. Ausserdem kommen einige der neuen Optionen so spät, dass sie kaum ins Gewicht fallen. Ich liebe den Giant Death Robot, aber im Regelfall habe ich nach etwa 200 Runden gewonnen oder verloren, ohne auch nur einen Gedanken an einen Mech verschwendet zu haben.
    Aber die positiven Punkte überwiegen hier so weit, dass ich keinen Anlass sehe, von der Erweiterung abzuraten. Gathering Storm bietet mehr von allem, was Civilization so suchterzeugend macht, und führt neue Systeme ein, die zusätzliche Komplexität und strategische Möglichkeiten bieten. Gathering Storm ist ein Muss für jeden Besitzer des Grundspiels.
    Superschurken-Tip: Wecker stellen, sonst wird aus der einen Runde schnell eine Nacht verlorenener Schlaf.

    Patrick Gerk
    Ich habe Ende der 80er mit meinem Amiga angefangen und seitdem haben Videospiele einen permanenten Platz in meinem Herzen. Ich mag alles, was Leute zum spielen zusammenbringt, sei es analog oder digital. Seit Ende 2018 schreibe ich für Game2gether.de und konzentriere mich auf Retro- und Koopspiele.