Die Aufbausimulation Pioneers of Pagonia des Indie-Studios Envision Entertainment, um Volker Wertich, hat im vergangenen Jahr einen Traumstart hingelegt. In der ersten Woche nach dem Release am 13. Dezember hat sich das Spiel 100.000-mal verkauft.
Doch das war erst der Anfang. Seitdem hat das Spiel einige Patches erhalten und Spieler können sich in den nächsten Wochen und Monaten auf neuen Content freuen. Wir haben den kreativen Kopf hinter dem Spiel gefragt, wie es zu der Idee kam. Antworten auf diese und weitere Fragen im Interview mit Volker Wertich:
Game2Gether: Hallo Volker, kannst du dich unseren Lesern einmal kurz vorstellen?
Volker Wertich: Natürlich. Mein Name ist Volker Wertich und ich bin Creative Director und Mitgründer von Envision Entertainment und entwickle mittlerweile seit etwa 40 Jahren Spiele. Angefangen bei Ein-Mann-Projekten in meiner Schulzeit und später dann in kleineren und größeren Teams. Heute bin ich Teil eines kleinen unabhängigen Studios aus sehr erfahrenen Veteranen und jungen Talenten. Unser aktuelles Projekt ist „Pioneers of Pagonia“.
Mit 40 Jahren bist du schon eine Weile Teil der Gaming-Branche. Wie bist du in der Schulzeit zur Spieleentwicklung gekommen?
Ich hatte den ersten Kontakt mit Videospielen, welche über „Pong“ hinausgehen, im Alter von 12 Jahren, als ich einen Spielautomaten von „Space Invaders“ sah. Ich war von der Möglichkeit, Spielregeln als Programmcode zu entwickeln, fasziniert. Mit 13 habe ich dann zunächst die Programmiersprachen Basic, dann Assembler gelernt. Ein Jahr später habe ich mit 14 mein erstes Computerspiel für den VC-20 entwickelt. Das war der Vorgänger des C64. Ich habe meine Berufung also schon sehr früh gefunden …
Und wie kam es zum Studio Envision Entertainment?
Wir waren als Phenomic und Envision Entertainment meist ein unabhängiges Studio, unterbrochen von einer 7-jährigen Phase, in welcher wir Teil von Electronic Arts waren. Nachdem Electronic Arts sich stärker auf die größeren Marken fokussieren wollte und sich daher von vielen kleineren Studios trennte, haben wir gemeinsam mit Electronic Arts eine gute Lösung gefunden, welche uns eine Neugründung am gleichen Ort ermöglichte.
Hier entstand dann auch Pioneers of Pagonia, welches am 13. Dezember sehr erfolgreich in den Early Access gestartet ist. Dazu zunächst herzlichen Glückwunsch. Wie wurde die Veröffentlichung gefeiert und wie ist die Stimmung im Team?
Wir sind natürlich überglücklich, dass wir eine so erfolgreiche Veröffentlichung erreichen konnten. Unser Team ist hochmotiviert, das Spiel noch umfassend zu erweitern und zu verbessern. Eine erste Roadmap haben wir hier bereits veröffentlicht. Zum Feiern war vor Weihnachten leider keine Zeit mehr, aber im Februar werden wir mit dem Team eine kleine Release-Party feiern!
wir freuen uns besonders auf den kooperativen Modus
Was macht das Spiel im Gegensatz zur Konkurrenz einzigartig?
Wir wollen die Aufbausimulation mit dem größten Wuselfaktor sein. Dazu gehört, dass jeder Vorgang in der Spielwelt visualisiert wird (WYSIWYG-what you see is what you get-Prinzip). Dieses intelligente Verhalten der Einwohner erspart dem Spieler viel „Micromanagement“, indem die Aktionen des Spielers das Verhalten von Hunderten von Einheiten beeinflussen.
Durch den Wuselfaktor sticht das Spiel im Strategiegenre hervor. Wie kam es zur Idee von Pioneers of Pagonia?
Der Markt für Strategiespiele bietet eine sehr große Varianz und abgesehen von relativ vielen Survival-Spielen ist dort meiner Meinung nach noch viel Raum für neue Ideen und Entwicklungen. Aufbausimulationen mit vollständig visualisierter Spielwelt und selbständig intelligent agierenden Einheiten gibt es nicht viele. Wir wollten erstmals ein Projekt unabhängig entwickeln und haben sehr genau überlegt, welche Features wir gut umsetzen können und welche nicht zum „Basispaket“ gehören dürfen, damit die Pläne realistisch sind.
Was war die größte Herausforderung in der Entwicklung?
Es gab zahlreiche Herausforderungen, hier ein gutes Beispiel: die prozedurale Erzeugung von Inseln in weniger als einer Minute Echtzeit. Denn diese müssen nicht nur spielerisch abwechslungsreich sein und eine verwinkelte Geografie haben, sondern gleichzeitig auch landschaftlich, malerisch und ästhetisch sein mit einer entsprechend sinnvollen Verteilung von interessanten Orten, neutralen Dörfern und Feinden je nach Schwierigkeitsgrad.
Nun ist das Spiel im Early Access erschienen. Was waren die Gründe für diese Entscheidung?
Da wir als unabhängiges Studio die Entwicklung selbst vorfinanzieren, ist der Early Access der beste Weg, um möglichst früh zu erfahren, wie gut ein neues Projekt bei den Spielern ankommt und ob es auch finanziell tragbar ist. Außerdem ist die weitere Zusammenarbeit mit der Community lange vor der Fertigstellung des Projekts eine große Hilfe.
Das Spiel hat einen sehr farbenfrohen und teils niedlichen Artstyle. Was war eure Inspiration dafür?
Unsere Spielwelt soll einladend, wunderschön, verwinkelt und auch mysteriös sein. Wir denken, dass diese positive und neugierige Grundstimmung erheblich zur kreativen Entspannung für den Spieler beiträgt.
Was erwartet Spieler in den kommenden Wochen und Monaten an Updates und neuem Content?
Wir arbeiten gerade am Fischer, einem neuen großen Lagergebäude und der Darstellung von Graphen für Gebäude, Waren und Einheiten, damit der Spieler die wirtschaftliche Entwicklung gut einschätzen kann. Hinzu kommen zahlreiche Komfortfunktionen und Verbesserungen, z.B. ein neues Angriffskommando oder detaillierte Einheiten-Informationen. Dies alles kommt bereits im Februar. In den Monaten danach folgen der Untertagebergbau, der Geologe, neue Rohstoffe und wir freuen uns besonders auf den kooperativen Modus, welchen wir aktuell bereits testen. Auf unserer Roadmap sind bereits einige weitere Features angekündigt: noch größere Karten, eine neue Feindfraktion und magische Einheiten für den Spieler, den Schatzsucher und neue Wirtschaftsgebäude wie Brauerei und Weingut.
Diese große Varianz macht unsere Branche auch besonders spannend
Wird es neben Banditen, Dieben und übernatürlicher Wesen auch verfeindete Pagonier/Dörfer geben?
Wir schmieden im ersten Quartal 2024 an den weiteren Zukunftsplänen für „Pioneers of Pagonia“. Leider kann ich dazu heute noch keine neuen Ankündigungen machen, aber im Frühling werden wir eine neue, erweiterte Roadmap veröffentlichen.
Welchen Part der Spielentwicklung findest du persönlich am spannendsten und welchen Tipp würdest du neuen Entwicklern mit auf den Weg geben?
Dazu fallen mir insbesondere zwei Momente ein: Zum einen die Phase, in welcher der Kern des Spiels erstmals spielerisch erlebbar ist, also unser „neues Software-Baby“ aus dem Nichts entstanden ist. Zum anderen der Moment, wenn erstmals externe Spieler das Spiel erleben, z.B. als Demo oder Early Access und uns Feedback geben. Darum würde ich neuen Entwicklern raten, vor der Entwicklung ausreichend an der Vision für ein neues Projekt zu arbeiten und zu feilen. Während der Entwicklung liegt der größte Hebel bei gutem Game Design, um Kosten und Entwicklungszeit zu reduzieren. Möglichst frühzeitig Feedback von Spielern einsammeln und kritikfähig sein.
Was war der schönste Moment in deiner Karriere?
Die schönsten Momente sind natürlich dann, wenn nach intensiver und schwieriger Entwicklung ein gutes Spiel entstanden ist, welches den Menschen Freude bereitet. Ich hatte das Glück, dies bereits mit Emerald Mine 1987 zu erreichen und Siedler 1 erhielt 1993/1994 viele Wertungen zwischen 80 und 90. Es ist auch immer etwas Besonderes, wenn sich ein Spieler die Zeit nimmt und sich persönlich an mich oder unser Team wendet und von seinen eindrücklichen Erlebnissen berichtet. Das erleben wir bei Pioneers of Pagonia gerade besonders oft.
Was macht aus deiner Sicht ein gutes Spiel aus?
Ich denke, das kann man nicht einfach verallgemeinern. Die Menschen und Spieler sind mit ihren Vorlieben so unterschiedlich, dass es vielfältige Wege für gute Spiele gibt. Diese große Varianz macht unsere Branche auch besonders spannend, immer wieder finden Entwickler neue großartige Ideen und Konzepte.
Angenommen, du hättest unbegrenzte Ressourcen, was wäre dein Traum-Projekt?
Ich spiele selbst sehr gerne MMORPGs. Ich denke, dieses Genre bietet einmalige Erlebnisse bei der Erkundung neuer Welten und das könnte man mit sehr aufwändigem, prozeduralem Content in neue Sphären heben, aber darauf hätte ich wirklich nur mit unbegrenzten Ressourcen Lust 😉
Volker Wertich,
Creative Director, Envision Entertainment
Volker Wertich geboren am 21. Juli 1969 ist ein Programmierer und Entwickler und gilt als „Urgestein“ der deutschen Videospielbranche. Er wohnt und arbeitet in Ingelheim am Rhein. Wertich ist u.a. der Erfinder der Computerspielreihe „Die Siedler“ und war verantwortlich für den ersten (1993) sowie den dritten Teil (1998) der Wirtschaftssimulation. 1997 und gründete er die Firma Phenomic Game Development, wo er „SpellForce“ und dessen Nachfolger entwickelte. Nach der Übernahme des Studios von EA war Wertich war dort weiterhin als Geschäftsführer tätig. Im Juli 2013 wurde bekannt, dass EA Phenomic vom Mutterkonzern geschlossen wurde. Daraufhin gründete Wertich gemeinsam mit ehemaligen Kollegen das unabhängige Studio Envision Entertainment, wo er selbst als Creative Director fungiert. Im Februar 2023 kündigte er das Spiel Pioneers of Pagonia an. Das Spiel erschien am 13. Dezember 2023 im Early Access. 2013 wurde er bei der Verleihung des Deutschen Entwicklerpreises in die Hall of Fame aufgenommen