Der Video Game Crash von 1983 – Retrospektive

Video Game Crash
Editor: SaHKu

Es gibt vermutlich wenige Ereignisse, die eine gesamte Branche so sehr erschüttern konnten wie der einstige Video Game Crash von 1983.
Im Artikel zum Atari 2600 – nachzulesen hierhaben wir das Thema ja bereits kurz angerissen, allerdings war dieses Ereignis für die Videospielbranche von so extremer Bedeutung, dass man ihr durchaus einen eigenen Artikel widmen kann.
Folglich gibt es hier eine kleine Retrospektive der Ereignisse, die beinahe dafür gesorgt haben, dass Videospiele allerhöchstens in Japan populär geblieben sind und eine gesamte Branche für volle zwei Jahre brach lag.

Vorgeschichte

Zu Beginn der 1980er Jahre war der Markt der Videospiele im festen Griff von Atari. Deren bereits 1977 veröffentlichter 2600 (oder auch kurz: VCS) wurde jahrelang mit Spielen versorgt, die heute als Klassiker gelten; besonders beliebt waren Arcade-Umsetzungen wie Space Invaders; Pac-Man oder auch – man mag es in heutigen Zeiten kaum glauben – Donkey Kong von Nintendo.

Pfeif’ auf die Grafik; ich brauch’ Münzen!

Diese waren zwar grafisch und oftmals auch qualitativ ihren Arcade-Vorlagen unterlegen – der Atari besaß eine Hardware, über die man schon 1977 fast müde lächeln musste – bot aber Potenzial, von Heimanwendern erworben und gespielt zu werden.
Man darf nicht vergessen, dass Arcade-Automaten fleißig Münzen schluckten – in Japan wurden beispielsweise die damals für Automaten benötigten 10-Yen Münzen knapp, weil die Leute sich exzessiv an Pac-Man versuchten – da lag der Gedanke natürlich nahe, dass man ein Spiel lieber einmal für den eigenen Fernseher kauft, anstatt Tage in einer abgedunkelten Spielhalle zu verbringen.
Die Veröffentlichung von Donkey Kong für den Atari 2600 als Lizenzprodukt war natürlich fast logische Konsequenz, da es Nintendo selbst noch an einer eigenen Konsole mangelte; diese sollte erst im Jahre 1983 in Japan als Famicom (Abkürzung für Family Computer) und 1985 in Nordamerika als Nintendo Entertainment System das Licht der Welt erblicken.

Zu viele Köche verderben den Brei…

Es gab natürlich einige Konkurrenten von Atari, diese waren aber allenfalls exotisch und sind auch – im Gegensatz zum 2600 – heutzutage schwer bis gar nicht aufzutreiben.
Allerdings hatten diese den Markt geflutet und versuchten natürlich, auf der Welle des Erfolges – den Atari seit 1979 erlebte – mitzuschwimmen. Namentlich genannt werden sollten hier:

  • Atari 5200
  • Bally Astrocade
  • Colecovision
  • Coleco Gemini
  • Emerson Arcadia 2001
  • Fairchild Channel F System II
  • Magnavox Odyssey2
  • Mattel Intellivision
  • Intellivision II
  • Sears Tele-Games Systems
  • Tandyvision
  • Vectrex

Man sieht also: zu Beginn der 1980er bestand der Markt aus einer enormen Vielfalt von verschiedenen, zueinander inkompatiblen Konsolen. Zwar hatte keiner die Marktmacht, die der Atari 2600 besaß; sie hatten allerdings im nordamerikanischen Raum genügend Verbreitung gefunden, um Atari Konkurrenz zu machen.

Ein heutiger Major Player betritt die Bühne…

1979 sollte es zur Gründung eines Unternehmens kommen, dass heute vor allem als Activision Blizzard bekannt ist.

Activision_Logo
Activision Logo; Quelle: wikipedia.org

Damals – vor der Fusion beider Unternehmen – war der Name schlicht Activision.
Die Gründung von Activision entstand durch den Unmut einiger ehemaliger Atari-Programmierer, die das Unternehmen verlassen hatten, nachdem die Geschäftsführung ihnen die Nennung ihrer Namen in den von ihnen programmierten Spielen verweigerte.

Activision entwickelte – man ahnt es bereits – hauptsächlich Spiele für den Atari 2600; eine Tatsache, mit der Atari nicht einverstanden war; die Ansicht von Atari war die, dass außer ihnen keine anderen Anbieter Spiele für ihre Konsole(n) entwickeln dürfen.
Atari verklagte den neuen Mitbewerber; dieses Verfahren endete aber in einer herben Niederlage für Atari; da das Verfahren zugunsten Activisions entschieden wurde.

Diese Entscheidung von 1982 erlaubte somit Spiele von anderen Herstellern; sodass eine schier unmessbare Zahl an Unternehmen aus dem Boden gestampft wurde und Videospielabteilungen gegründet wurden, um auf die Erfolgsgeschichte des Atari 2600 aufzuspringen.
Zeitgleich versuchten sich die Unternehmen gegenseitig Programmierer abzujagen oder durch sogenanntes Reverse Engineering an das notwendige Know-How der Programmierung zu kommen.

Der Spielzeughersteller Mattel versuchte trotz der niederschmetternden Erfahrung Ataris weiterhin, die Namen der Entwickler ihrer Spiele zu verheimlichen; sie forderten sogar in einem Interview mit der US-amerikanischen Zeitschrift TV Guide vom 19. Juni 1982, die Namen diverser Programmierer absichtlich zu verändern.

Zigarette? Videospiel? Egal: Sargnagel ist Sargnagel!

Den Untergang der anfänglichen Erfolgsgeschichte sollte aber ein Spiel besiegeln – und in vielen Listen der schlechtesten Videospiele aller Zeiten ist dieser Titel oftmals auf Platz 1 zu finden, welcher sich als Quasi-Sargnagel der Branche herausstellen und Schuld an der Beinahe-Pleite von Atari in den 1980ern sein sollte (und eine dreißig Jahre andauernde urbane Legende am Leben erhielt).

Viele schlechte Titel verhalfen dem Atari 2600 über die Jahre zu einem mitunter zweifelhaften Ruf, aber was man mit Filmlizenzen nicht machen sollte, das hat die Branche nach dieser Geschichte gelernt.
Wer meint, dass die Filmindustrie nur schlechte Verfilmungen zu Videospielen zu bieten hat (dazu unsere Reviews zu Super Mario Bros., Street Fighter – The Movie oder der unglaublich miese Mortal Kombat: Annihilation) wird staunen: der umgekehrte Weg kann sogar eine ganze Branche zum Erliegen bringen.

Wären ihre Ideen einfach zu Hause geblieben…

1982 kam Atari auf die Idee, dass es eine gute Idee wäre, zum damals neuen Spielberg-Film E.T. – Der Außerirdische ein Spiel auf den Markt zu bringen.

Atari-ET
Cover von ET für den 2600; Quelle: amazon.com

Das Spiel – welches knappe 6 Monate nach Release des Films pünktlich zum Weihnachtsgeschäft fertig werden sollte – wurde von dem Programmierer Howard Scott Warshaw binnen 5 1/2 Wochen programmiert und stellte sich bei Release als konfus, verwirrend und einfach nur schlecht heraus.

Atari soll – in Anbetracht großer Gewinne zum Weihnachtsgeschäft – Gerüchten zufolge 5 Millionen Exemplare vorproduziert haben, von denen aber gerade einmal – laut unterschiedlichen Quellen – knapp eine Million Exemplare verkauft wurden.


Alles auf den Müll…

Im Jahr darauf soll Atari 20 LKW-Ladungen mit diverser Hardware und vielen Spielen in New Mexico vergraben haben, was sich im Jahre 2014 endgültig bewahrheiten sollte, als ein Joint-Venture – unter anderem war Microsoft beteiligt – sich der Müllhalde annahm und tatsächlich diverse Dinge fand, die sich seit 1983 tief vergraben dort befunden hatten. Darunter dutzende E.T. Module.

Da Cartridges in der der damaligen Zeit mit ROMs bestückt wurden (Read Only Memory), die nicht wiederbeschreibbar waren, musste Atari einen herben Verlust hinnehmen, der allerdings in den beiden folgenden Jahren noch steigen sollte.

Ein interessantes Zitat zu E.T. für den Atari 2600 wollen wir euch nicht vorenthalten; dieses haben wir auf einer Website gefunden, die sich ebenfalls mit dem massiven Misserfolg von E.T. befasst…selten wurde ein Misserfolg so elegant umschrieben:
Nearly everything associated with E.T. THE EXTRA-TERRESTRIAL in 1982 was a runaway success. I mean, you had to really f*ck up on an epic scale if you couldn’t sell something even tangentially connected to Steven Spielberg’s science-fiction smash. Atari’s video game adaptation of E.T. THE EXTRA-TERRESTRIAL was that kind of a f*ck up: an incomprehensible, poorly designed, borderline unplayable game that threw an entire company into financial chaos.
Quelle: http://legacy.aintitcool.com/node/68212

Besser hätte man es nicht formulieren können, wenn ihr uns fragt.

Es geht abwärts

Die nach dem 1982er Urteil erfolgt Euphorie seitens diverser Unternehmen, die sich jetzt ebenfalls an Videospielen versuchten, sorgte für eine massive Überflutung des Marktes mit Spielen, die qualitativ so schlecht waren, dass man es kaum beschreiben kann.
E.T. war nur der Beginn einer Reihe von Misserfolgen, die viele hastig gegründete Unternehmen schneller den Boden unter den Füßen wegrissen als diese Spiele programmieren konnten.
Da viele Händler ihre liegen gebliebenen und nicht verkauften Module wieder an die Hersteller zurückgeben wollten, stellte sich nach und nach heraus, dass diese weder die finanziellen Mittel noch qualitativ höherwertigen Ersatz beschaffen konnten, weswegen viele Händler dazu gezwungen waren, die teuer angeworbenen Spiele mit massiven Verlusten, also zu gesenkten Preisen, zu verkaufen.

Diese Entwicklung führte also zu einer großen Konkurswelle im Markt; viele Unternehmen – wie die Pioniere Magnavox und Coleco – schlossen aufgrund des Crashs ihre Videospielabteilungen; das 1981 gegründete Unternehmen Imagic verschob seinen Börsengang einen Tag bevor dieser hätte stattfinden sollen und ging 1986 ebenfalls in Konkurs.

Größere Hersteller wie Activision hatten gleichzeitig Programme für die populären Heimcomputer wie den Commodore C64 entwickelt und hielten sich am Markt, während die meisten kleineren Anbieter so schnell verschwanden, wie sie gekommen waren.

Jedes Ende ist ein neuer Anfang…

Die langfristigen Effekte des Crashs von 1983 waren in Nordamerika lange spürbar. Während die Bewohner des europäischen Kontinents hauptsächlich auf Heimcomputer setzten – unvergessen und als allererstes nennenswert ist hier natürlich der mit 30 Millionen verkauften Exemplaren Commodore C64 – verschob sich der Markt für Videospiele hauptsächlich nach Japan. Hier hatte der Crash keine bemerkenswerten Auswirkungen; Unternehmen wie Nintendo und Sega feierten hier auch weiterhin Erfolge.
Ein Gerät sollte die restlichen 80er Jahre nach seiner Veröffentlichung beherrschen; dieses sollte sich – nach Erholung des Marktes – ab ca. 1987 an die Spitze katapultieren und Videospiele nicht mehr länger mit Atari assoziieren.

Lege das Glück in die Hände des Himmels
Nintendo Entertainment System
Nintendo Entertainment System,
Quelle: wikipedia.org

Während Nordamerika ab 1983 die Auswirkungen des Crashs zu spüren bekam – dessen Wucht im Jahr 1984 ihren Höhepunkt fand – sollte ein unscheinbares Unternehmen, welches bis dahin mit Game Boy Vorläufern – der Game&Watch Serie – und kleineren Konsolen wie dem Color TV 6 – und dessen Nachfolgern – im gleichen Jahr in Japan eine Erfolgsgeschichte beginnen, die bis weit in die 1990er reichte: das Nintendo Entertainment System, welches in Japan unter dem Namen Famicom – eine Abkürzung für Family Computer – erschienen ist.

Die Konsole, deren Optik in seiner nordamerikanischen und europäischen Version übrigens der der populären Heimcomputer dieser Zeit nachempfunden war, erschien 1985 in Nordamerika und bald darauf auch in Europa und sollte dem totgedachten Markt neues Leben einhauchen und viele Verkaufsrekorde brechen…eine erste Marge, die in New York angeboten wurde und 50.000 Einheiten umfasste, verkaufte sich bestens; und so wurde am 18. Oktober 1985 das Nintendo Entertainment System landesweit angeboten.

Witziger Fakt hierzu: ursprünglich hatte Nintendo – mangels US-Vertriebs – die Überlegung angestellt, die Konsole unter Ataris Namen zu verkaufen; da diese sich aber vermehrt dem Heimcomputermarkt widmen wollten, ging Nintendo das Risiko ein und nahm den Vertrieb selbst in die Hand; eine Entscheidung, die sich später als absolut richtig erweisen sollte.

Schwarz oder grau, was darf es denn sein?

Auch ein zweites Unternehmen sollte sich bald darauf auf dem nordamerikanischen Kontinent ausbreiten; dessen Name: Sega.
Sega hatte am 15. Juli 1983 – exakt am gleichen Tage wie Nintendo das Famicom – in Japan das SG-1000 auf den Markt gebracht, die Vorgängerkonsole des Sega Mark III, aus welchem dann das Master System hervorging, welches ab Juni 1986 ebenfalls in Nordamerika und kurze Zeit später auch in Europa erhältlich sein sollte.

Folglich führte der Crash zu einer Neuausrichtung des Marktes.

Gib mir fünf!

Nintendo hat sich den Markt aber ganz genau angesehen und auch den Crash genaustens mitverfolgt.
Strenge Regeln, um eine Überflutung mit schlechten Spielen zu verhindern, wurden seitens Nintendo aufgestellt; eine Limitierung von fünf Spielen pro Publisher und Jahr sollte vermeiden, dass ihre Konsole mit zu viel Müll überschwemmt wird; eine Entscheidung, die viele Publisher dadurch umgingen, indem sie weitere Sub- und Tochterunternehmen gründeten.

Und was wurde aus Atari?

Nach einem Verkauf u.a. an den Gründer von Commodore und einigen anderen Besitzerwechseln sollte sich Atari noch wenige Jahre am Konsolenmarkt halten können, bis die Flops des 1989 veröffentlichten Lynx – welcher hauptsächlich in Konkurrenz zum Game Boy und dem Sega Game Gear stand – und des Pseudo-64-Bitters Jaguar (im Jahr 1993) der Firma – und vor allem deren Image – endgültig das Genick gebrochen haben.

Heute ist die Marke Atari im Besitz der früheren französischen Firma Infogrames, welche seit 2009 unter dem Namen Atari SA bekannt ist (und ebenfalls bereits insolvent gegangen ist). Eigene Spiele entwickelt die Firma nicht mehr, diese lässt sie nun durch externe Unternehmen entwickeln.