Mal überlegen… welches Spiel könnte denn heute ein interessantes Thema bieten? Ich entscheide mich für…
Wing Commander: Privateer
Am 25. August starb Neil Armstrong. Da er praktisch gesehen das machen konnte was Personen wie ich nur als Hobby realisieren können, gab die Inspiration in diesem Fall den Anlass.
Damit war zumindest die Richtung vorgegeben – es geht wieder ins All.
Der Titel wird vielen von euch natürlich sofort bekannt vorkommen, bei allen anderen klingelt es wohl, wenn ich jene Serie erwähne, von der dieses Spiel abstammt: Wing Commander. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Spiel um ein Nebenprodukt der berühmten Reihe, was beim Spielen rasch augenscheinlich wird: die Cockpitperspektive, die Steuerung eures Raumschiffs – all das trägt eindeutig die Handschrift von Wing Commander. Und dennoch ist es eigentlich ein völlig anderes Spiel. Denn war der große Bruder ein nicht ganz linearer Space Combat-Simulator, war Privateer das, was herauskommt, wenn man Elite mit Wing Commander kreuzt – also eine Space Trading Sim im Wing Commander-Universum.
Falls ihr noch nie in den Genuss einer Space Trading Sim gekommen seid, hier ist ein kurzer Überblick. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um einen klassischen Genremix, der Elemente einer Wirtschaftssimulation (das Handeln von Wahren) mit Ideen eines Space-Simulators (die Reisen zwischen den Welten, die Kämpfe) vermischt und noch ein ordentliches Schäufelchen Open World darüberstreut – gewissermaßen das, was man heute z.B. in EVE Online als MMO erleben kann. Das heißt: In Privateer startet ihr als ein klassischer No-Name mit einem kleinen schwachen Raumschiff und nur wenigen Credits auf dem Konto – alles andere müsst ihr euch verdienen. Wie? Das ist eure Sache.
Dies stellt bereits den ersten Unterschied zu Wing Commander dar: War dort vollkommen klar, dass ihr nach einigen Gesprächen in euer Raumschiff steigt und Kilrathi abschießt, steht euch hier die Galaxis vollkommen offen und die Wege zum Geld sind vielseitig. Wer will, versucht sich als Händler und kauft und verkauft Wahren, indem er von System zu System fliegt. Wer es lieber actionreicher mag, wagt sich an Söldnermissionen, wird Pirat oder kombiniert beides und versucht sich am Schmuggel illegaler Wahren. So oder so ist es aber mit friedlichem Herumfliegen nicht getan, denn der Gemini-Sektor, den ihr im Spiel erkundet, ist durchzogen mit verfeindeten Fraktionen, Piraten und natürlich Kilrathi. Zwar könnt ihr euch theoretisch mit fast jeder Fraktion anfreunden (ja, auch mit den Fellknäueln), aber irgendjemand wird immer gegen euch sein und versuchen, euer Schiff abzuschießen – sei es, weil ihr einen schlechten Ruf habt oder illegale oder zu wertvolle Güter transportiert. Deshalb ist es natürlich wichtig, euer Geld rasch auch in das Schiff zu investieren – je nach Vorliebe gibt es unterschiedliche Schiffstypen und Bewaffnungen, die sich natürlich auch für unterschiedliche Missionen besser oder schlechter eignen.
Technisch zeigt sich klar die Verwandtschaft zu den ersten beiden Wing Commander-Teilen. So wird der 3D-Raum mithilfe von Sprites simuliert, was gleichzeitig bedeutet, dass bei den Manövern der anderen Schiffe zwischen vorgegebenen Standbildern „umgeklappt“ wird und beim nahe Heranfliegen die netten Schiffe nur noch Pixelmatsch werden – ganz anders als bei der Polygontechnik, wie sie der Space-Combat-Konkurrent X-Wing einsetzte, die zwar flüssige Bewegungen erzeugte, aber damals – wir sprechen hier immerhin von einer Zeit vor den 3D-Beschleunigern – nicht dieselben Details liefern konnte. Jeder, der – wie ich – zu diesem Zeitpunkt die bisherigen Wing Commander-Spiele gespielt hatte, fand sich sofort im Cockpit zurecht. Space-Sim-Fanatiker mochten an der gesamten Serie kritisieren, dass sich das Gameplay zu arcadig spielte (diese Spieler liebten Frontier: Elite 2, das korrekte Mechaniken nach den Newton-Gesetzen bot), doch gleichzeitig machte es das Spiel zugänglich, ohne zu leicht zu werden. Denn die Galaxis ist ein gefährlicher Ort – wer Pech hat, wird rasch zu einer Wolke kosmischen Staubs.
Das „Open World“-Prinzip heißt allerdings nicht, dass es keine Story gab – ganz im Gegenteil. Im Laufe des Spiels konntet ihr eine mehrere Missionen umfassende, lineare Geschichte erleben, die den Weg zum „Finale“ von Privateer darstellte. Doch davor, währenddessen und danach konntet ihr die Freiheit genießen und spielen, was und wie ihr wolltet. Und das war auch nötig, denn wer nur den Storyquests folgte, musste sehr bald feststellen, dass das Geld und damit auch die Ausrüstung fehlten, um voranzuschreiten. Ein späteres Add-on fügte eine Fortsetzung der Story hinzu und verlängerte dadurch die Zeit, die ihr mit dem Spiel verbringen konntet – zumindest, wenn es euch vor allem darum ging, das Ende des Spiels zu erreichen. Open World-Gamer konnten ja schon vorher solange zocken, wie sie wollten.
Meine persönliche Geschichte mit Privateer begann deutlich nach Release (1993) – ich bin mir nicht sicher, aber vermutlich war es der Sommer 1995. Als armer Schüler habe ich mir das Spiel erst nach dem Release von Wing Commander III geleistet – zusammen mit meinem ebenfalls spielversessenen Nachbarn, was aufgrund des Suchtfaktors prompt zu einem Streit führte, wer das Spiel nun zuhause aufbewahren darf. Es war aber auch zu verlockend. Eigentlich bin ich ja niemand, der gerne Spiele ohne Ziel spielt (ein Grund, warum mir Sim City und Konsorten immer zu langweilig werden), aber Privateer schaffte es, den richtigen Mix zu finden. Freiheit mit vielen Sektoren, variables Gameplay? Check. Aber auch eine Story? Doppelcheck. Außerdem war ich ja schon ein Wing Commander-Fan, weswegen das Setting mitten im Kilrathi-Konflikt für mich einfach funktionierte.
Das bringt mich auch schon zum letzten Punkt: Warum ist Privateer ein Spiel, das ich vermisse? Weil es ein Teil der Wing Commander-Lore ist. Weil es nicht nur ein Space Combat-Simulator ist – ein Genre, das ich an sich schon schmerzlich vermisse -, sondern auch noch mit Elementen einer Wirtschaftssimulation (an sich ein Genre, das ich in der trockenen Variante immer nur in kleineren Dosen aushalte) angereichert ist, was dem Spiel Abwechslung und Offenheit gibt. Weil die vielen verschiedenen Herangehensweisen an das Gameplay eine offene Erfahrung erzeugten, in der man wirklich das Gefühl haben konnte, man hat sein Geschick selbst in der Hand. Und weil es mich in ein Universum entführte, das ich ohnehin sehr gern mochte. Und das ich an sich schon seit dem Ende von Wing Commander Prophecy schmerzlich vermisse.