Ni No Kuni – Der Fluch der Weissen Königin

    Wenn Level 5 ein neues Rollenspiel auf den Markt bringt, dann jubeln Fans von JRPGs weltweit. Besonders groß war die Vorfreude, als es hieß, dass man den nächsten Titel namens Ni No Kuni: Der Fluch der Weissen Königin gemeinsam mit dem Anime-Urgestein Ghibli produzieren werde. Bei dieser gigantischen Symbiose der beiden Studios kann eigentlich nichts schief gehen sollte man denken. Und wie wir während des Spielens feststellen durften, wird Ni No Kuni seinem Hype tatsächlich gerecht. Mehr noch, wir behaupten bereits so weit vorne im Text tollkühn, dass das Spiel absolutes Kult-Potential hat, wie man es seit einigen Jahren in dieser Form so nicht mehr hatte.

    Offizieller E3 2012 Trailer zu Ni Nu Kuni

     

    Von Tränen und Tröpfchen

    Hauptfigur der Geschichte ist ein kleiner und unscheinbarer Knirps namens Oliver. Gemeinsam mit seiner Mutter lebt er in der Stadt Motorville und die Welt scheint zwar ein wenig trist, aber dennoch in Ordnung zu sein. Doch dann nehmen die Ereignisse rasant an Fahrt auf, als Olivers Mutter urplötzlich an Herzversagen im Bett stirbt – vor seinen Augen. Völlig aufgelöst vor Trauer weiß sich Oliver nicht zu helfen und verfällt zusehends in Zweifel und Unsicherheit. Den einzigen Trost spendet ihm ein Stofftier, das er vor einigen Jahren von seiner Mutter geschenkt bekam. Als eine von Olivers Tränen auf diesem Plüschtier landet, erwacht es zum Leben. Nachdem beide den ersten Schreck überwunden haben, stellt sich die knuddelige Puppe als Tröpfchen vor.

    Tröpfchen stammt aus einer fernen Welt namens Ni No Kuni und trägt dort stolz den Titel des Königs der Feen. Er erzählt Oliver phantastische Dinge und fabelhafte Geschichten aus seiner Welt, die den kleinen Jungen in seinen Bann ziehen. Die gutmütige Miene von Tröpfchen verfinstert sich schlagartig, als er auf den dunklen Zauberer Dschinn Shadar zu sprechen kommt. Dieser versetzt die ferne Welt in Angst und Schrecken und raubt allen Widersachern ihren Lebenswillen, worauf diese fortan nur noch ein Schatten ihrer selbst sind.

    Die einzige mögliche Rettung ist durch einen Menschen mit reinem Herzen möglich und, man ahnt es bereits, Tröpfchen sieht in Oliver genau diesen. Oliver seinerseits ist jedoch noch zu tief in Trauer um seine Mutter versunken und erteilt dem König der Feen eine Absage. Als Tröpfchen dann aber mit der vollständigen Geschichte rausrückt, lässt sich der tapfere Oliver doch noch umstimmen.

    Auf beiden Welten gibt es seelenverwandte Lebenwesen, die Olivers und Tröpfchens Welt miteinander verbinden. Sollte es Oliver also gelingen, den Seelenverwandten seiner Mutter zu finden und ihm den Lebenswillen wieder zurückgeben zu können, dann könne es ihm ebenfalls gelingen, das Leben seiner Mutter in der hiesigen Welt zu retten. Dieser Hauch einer Chance reicht Oliver, um all seine Ängste und Bedenken über Bord zu werfen und beide machen sich auf in die Welt von Tröpfchen, nach Ni No Kuni.

    Die Vorgeschichte klingt etwas kitschig, kommt so aber überhaupt nicht beim Spieler an. Im Gegenteil, die Emotionen von Oliver und Tröpfchen werden unmaskiert und echt dargestellt und sprechen in ihrer Gesamtheit sowohl junge, als auch ältere Spieler an.

    Überhaupt muss man den Erzählstil von Ni No Kuni durchweg lobend erwähnen, der vor Kreativität, Ideenreichtum und Sentimentalität nur so strotzt. Im Verlauf des Spiels wird die Story immer weiter und tiefer gesponnen, es treten gelegentliche Twists und Verzweigungen auf, aber zu keinem Zeitpunkt verliert man den Überblick, alles bleibt klar und verständlich. Man ist als Spieler unglaublich nah am Geschehen und wird förmlich mitgerissen von einer Geschichte voll von Freude und Leid, tiefen Freund- und kaltherzigen Feindschaften, Ängsten und deren Überwindung.

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    Magischer Weltenmix

    Ein wichtiger Bestandteil im Spiel ist der Magische Begleiter. Dieses dicke Buch ist ständiger Begleiter quer durch die fabelhafte Spielwelt und beherbergt alle bisherigen Entdeckungen. Einer der ersten Einträge ist der Zauberspruch “Portal” der ein Tor öffnet und uns zwischen den beiden Welten hin und her wechseln lässt., was wir mitunter häufiger machen müssen, um ein Quest erfolgreich zu beenden. Alle weiteren Zauber, von denen die meisten für die Kämpfe relevant sind, finden ihren Platz im Magischen Begleiter. Gleichzeitig dient das Buch auch als Sammelwerk für entdeckte Monster, wichtige Personen und nützlicher Hinweise.

    Übrigens: Der Wizard Edition liegt der Magische Begleiter als physisches Buch bei und entspricht bis auf eine Ausnahme 1:1 dem Buch im Spiel. Diese Ausnahme betrifft die Sprache, denn während wir im Spiel mit deutschen Texten verwöhnt werden, ist das echte Buch der Wizard Edition komplett auf Englisch.

    Nachdem wir also per Portal nach Ni No Kuni gerlangt sind, landen wir auf der Weltkarte, die gigantische Ausmaße hat. Spieler älteren Semesters fühlen sich recht bald an die Weltkarten früherer Final Fantasy Teile erinnert. Die Karte ist komplett begehbar und zeigt Oliver stets aus der Vogelperspektive. Kurzum, die Welt lässt keine Wünsche offen und man ertappt sich immer wieder dabei, wie viel Spaß man an ihrer Erkundung hat. Es finden sich zu Hauf Dörfer, Siedlungen, Dungeons, Sondergebiete etc. pp. wieder, ebenfalls sichtbar sind auch die feindlichen Monster.

    Da wir im Verlauf des Spiels immer mehr Gebiete aufdecken und erforschen, werden die vermeintlichen Laufwege auch immer länger. Lange Laufzeiten gibt es aber so gut wie kaum, denn nach einigen Stunden Spielzeit bereisen wir die Welt stilvoll mit einem Drachen, der uns in Windeseile von A nach B bringt. Ebenfalls möglich ist das Überqueren von Meerpassagen per Boot.

    Man ahnt bereits, dass eine so liebevoll gestaltete Welt auch Einiges an Inhalten zu bieten hat – und man wird keinesfalls enttäuscht. Wer sich rein auf die Hauptstory konzentriert, der hat mit ca. 30 Spielstunden ausreichend viel Spaß. Wer mehr will, der nimmt jedes Seitenquest mit und landet dann bei etwa der doppelten Spielzeit, also 60 Stunden. Die meisten dieser optionalen Quests findet man nicht zufällig, sondern in gebündelter Form an den schwarzen Brettern besiedelter Gebiete. Die Mischung der Quests ist ein gelungener Mix und es kommt keine Langeweile auf. Finde einen bestimmten Seelenverwandten, sammle X davon, befreie Gebiet Y von Monstern und vieles mehr sorgen für viel Abwechslung.

    Nur eine Sachen wollen wir an dieser Stelle nicht verraten, nämlich, was es mit der Weissen Königin aus dem Beinamen von Ni No Kuni auf sich hat…

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    Vertraute von Herzen

    Auf unserer Reise, den finsteren Zauberer aus dem Weg zu räumen, treffen wir natürlich auch auf eine ganze Reihe verschiedener Monster. Die Palette reicht von garstig bis knuffig, aber da uns letztlich alle ans Leder wollen, bleibt eben nur der Kampf. Die ersten Fights muss Oliver noch alleine austragen, doch schon bald füllt sich unsere Party, wenn Esther und Sven dazu stoßen.

    Wir als Spieler steuern den Anführer der Gruppe, der übrigens immer frei wählbar ist. Den anderen beiden Figuren weisen wir eine grundlegende Strategie zu. Das verleiht den Kämpfen eine leichte Oberflächlichkeit, macht sie aber auch unkompliziert und sehr eingängig. So beschränkt sich die Bedienung der Gesellen auf offensive und defensive Grundhaltungen, also ob etwa Gegner A angegriffen werden oder Verbündeter B geheilt werden soll. Hier liegt der insgesamt tatsächlich einzige gröbere Schnitzer des Spiels, denn durch die große eigenmächtige Handlungsfreiheit unserer Mitstreiter unterlaufen diesen gelegentliche Fehler. Besonders in längeren Dungeons sind diese ärgerlich, denn nicht selten werden hochwertige Items viel zu früh verbraten, obwohl wir uns diese besser für den nächsten Zwischenboss aufgehoben hätten. Was für Items gilt, zählt auch für Zauber, denn gerade spätere und entsprechend mächtige Zauber benötigen eine ordentliche Portion Magiepunkte und werden diese unnötig verpulvert, fehlen sie vielleicht kurz drauf beim nächsten Kampf. Trotz alle dem verhalten sich unsere Kollegen die meiste Zeit jedoch völlig korrekt und die obige Kritik ist das bekannte Meckern auf hohem Niveau. Wer sich dennoch zu sehr daran stört, der darf jederzeit zwischen den Helden wechseln und die Steuerung selbst in die Hand nehmen. Dadurch werden die Fights dann auch herausfordernder, bleiben aber immer überschaubar, so dass keine Hektik ausbricht. Dem zu Gute kommt die hervorragende Belegung der Buttons, die man schon fast als idiotensicher bezeichnen kann.

    Alle Fähigkeiten der Figuren besitzen einen Cooldown und sind erst nach der Abklingzeit wieder startklar. Durch die freie Bewegungssteuerung von Oliver und Co. lässt sich also das Kampfsystem als eine Mischung aus Echtzeit- und Rundenstrategie bezeichnen.

    Der eigentliche Clou innerhalb der Kämpfe liegt aber in den so genannten Vertrauten. Dies sind Verbündete Wesen, die eurem Herzen entspringen und unterstützend im Kampf beistehen. Jeder der Helden kann 3 dieser Vertrauten mit sich in den Kampf führen, so dass man auf maximal 12 aktivierbare Mitstreiter kommt. Ab diesem Moment bekommen die Kämpfe eine völlig neue Qualität und vor allen Dingen deutlich mehr taktische Tiefe, denn jeder dieser Herzwesen hat eigene Vor- und Nachteile, die natürlich klug eingesetzt werden wollen. Sobald Esther den Zauber “Bezirzen” erlernt hat, steht einem schier unendlichen Pool an möglichen Vertrauten nichts mehr im Wege. Bezirzen lässt nämlich ein feindliches Monster zu uns überlaufen und steht ab sofort als Vertrauter in den Startlöchern bereit. Damit diese Unmenge an Vertrauten immer übersichtlich bleibt, bedient sich Ni No Kuni einem ähnlichen System, wie man es aus den Pokémon Spielen her kennt. Die für den Helden wichtigsten 3 Vertrauten sind allseits bereit, alle weiteren setzt man auf die Reservebank oder legt sie einfach wieder ab.

    Wie eben bereits angedeutet, entspringen die Monster den eigenen Herzen und stehen damit in direkter Verbindung zum jeweiligen Helden. Und das ist wörtlich zu nehmen, denn die Vertrauten besitzen keine eigene Leiste für Lebens- und Magiepunkte, sondern teilen sich diese mit ihrem Helden. Alle Treffer, die der Vertraute einstecken muss, gehen also auf das Energiekonto von Oliver, Esther und Sven. Ein behutsamer Umgang ist also ebenso Pflicht wie das rechtzeitige “Auswechseln” des Vertrauten, denn die Ausdauer unserer Monsterchen ist mitunter schnell erschöpft.

    Nach einem erfolgreichen Kampf gibt es natürlich auch Belohnungen in Form von Talern, Erfahrungspunkten und wichtigen Items. Praktischerweise werden die XP nicht aufgeteilt, sondern jeder Teilnehmer im Kampf bekommt die volle Ladung aufs Konto. Entsprechend oft leveln alle Protagonisten und Vertrauten. Das Leveln der Vertrauten erinnert erneut wieder etwas an Pokémon, denn deren Evolution pusht nicht nur Attribute wie Angriffs- und Verteidigungswerte, sondern lässt sie auch ganz neue Tricks erlernen.

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    Phantastisches für Augen und Ohren

    Ni No Kuni prägt zwei Grafikstile. Während alle Zwischensequenzen, von denen es übrigens mehr als genug zu bewundern gibt, in Ghibli-Tradition inszeniert sind und fast schon an einen kinoreifen Comicfilm erinnern, merkt man der Cell Shading Grafik im Spiel ihr Alter schon etwas an. Dieser Effekt passt aber unglaublich gut ins Spiel, schafft Ni Nu Kuni doch den Spagat zwischen Retro und Modern nahezu perfekt. Wahrscheinlich würde die knallbunte und detailverliebte Spielwelt in keinem anderen Grafikstil so prächtig und liebevoll erstrahlen.

    Das Tokio Philharmonic Orchestra verpasste dem Spiel den akustischen Anstrich, der den Spieler tief mit ins Geschehen reißt. Passend zur Szenerie am Bildschirm erklingen melancholische Streicher oder bombastische orchestrale Komplettpassagen, immer mit dem nötigen Quäntchen Feingefühl, um das Optische akustisch zu unterstreichen.

     

     

    Fazit

    Müsste man Ni No Kuni: Der Fluch der Weissen Königin mit nur einem Wort beschreiben, dann käme dafür wahrscheinlich nur eines in Frage: Wahnsinn! Das Spiel bietet einfach alles, was ein gutes (J)RPG ausmacht und was wir so oft die letzten Jahre vermisst haben. Authentische Charaktere, mitreißende Geschichte(n), eine riesige und lebendige Spielwelt, ein gutes Kampfsystem und und und. Die Motivation zum Weiterspielen wird durch spannende Quests voran getrieben, immer auf der Suche nach dem nächsten Vertrauten, denn vielleicht ist dieser noch besser als unsere bisherigen? Bei der grafischen und akustischen Gestaltung hat man kinoreife Dimensionen erreicht, wie man es selten in einer so stimmigen Form geboten bekommt. Zur auslaufenden Konsolengeneration bekommen wir mit Ni Nu Kuni für Playstation 3 ein absolutes Highlight geboten, das definitiv zu den besten Spielen für die Sony-Konsole gehört.

    Als Schlusswort setzen wir dieser Lobeshymne noch die Krone auf: Wir behaupten, dass Ni No Kuni das gleiche Kult-Potential besitzt, wie Final Fantasy 7 oder The Legend of Zelda: Ocarina of Time seinerzeit. Wartet ab, in 10 Jahren denkt ihr an diese Worte 🙂

    Christoph
    Kind der 70er. Seit '84 Musiker, seit '85 Hobby-Jedi, seit '86 Zocker und seit 2011 hier Redakteur